9) Unterpflanzung
Betrachten wir in der Natur einen Baum, so beziehen wir unwillkürlich auch seine Umgebung, vor allem den Bodenbereich, in unser Schauen mit ein. Dort sieht man, besonders bei älteren Bäumen, flach ausstreichende Wurzeln sich am Boden hinziehen, dazwischen Gräser und Moose, von denen sich je nach Bodenbeschaffenheit,
und Lichtverhältnissen die verschiedensten Arten hier angesiedelt haben. Der Bonsai-Freund nimmt die Natur zum Vorbild und strebt in seinen Schalen ähnliche Verhältnisse an (Bild 26). Eine Unterpflanzung unterstreicht den natürlichen Charakter unserer Bonsais und trägt zur »Alterswürde« der Bäumchen bei. Nebenbei hat sie noch eine sehr nützliche Funktion Sie schützt die Erdoberfläche vor zu raschem Austrocknen, was sich vor allem im Sommer günstig auswirken kann.
Das bodendeckende Moos ist wie geschaffen für unsere Bäumchen. Es bleibt niedrig und passt in seiner originellen Blattform so gut zu den Bonsaiformen wie keine andere Pflanze.
Doch Moos ist nicht gleich Moos. Wir sollten vor allem das feingliedrige, wie Samt sich dem Boden anschmiegende Laubmoos wählen. Wartet man lange genug und hält die Oberfläche immer leicht feucht, so stellt es sich von selbst ein. Der Wind verbreitet die winzigen Sporen ausgereifter Moose. Auf diese Weise finden manche den Weg zu einer Bonsai-Schale. Sie bleiben liegen und keimen aus.
Man kann aber auch eine Mooszucht anlegen und das Moos vorrätig halten, so dass man für die frisch eingetopften Bäumchen gleich größere Moosfladen zum Auflegen parat hat. Das Warten auf den mehr zufälligen Sporensegen aus der Luft lässt sich abkürzen, wenn man selbst Sporen von ausgereiften Moospflanzen holt - sie gibt es die ganze Vegetationsperiode über. Man verteilt die Sporen in den Bonsai-Töpfen und entdeckt schon nach 1- 2 Monaten zu seiner Freude den aufkeimenden Moosteppich.
Überlässt man den Mooswuchs der Natur, so wird mit großer Wahrscheinlichkeit das lappenartige Brunnenlebermoos die Oberhand gewinnen. Es sieht sehr reizvoll aus, wenn es seine sporenfangenden Schirmchen aufstellt, aber leider taugt es nicht zur Unterpflanzung für Bonsais. Wo es auftritt, sollte man es gleich auszupfen, denn einmal in der Bonsai-Ecke angesiedelt, verbreitet es sich mit großer Geschwindigkeit in allen Töpfen, und man hat seine liebe Not damit.
Schlechte Erfahrungen machte ich mit den Waldmoosen. Sie verlieren schnell ihre Frische, werden braun und unansehnlich. Vermutlich finden sie in der Bonsai-Schale keine günstigen Lebensbedingungen. Eine ähnliche Schwierigkeit erlebte ich mit Gebirgspflanzen aus dem Schweizer Jura. Dort ausgestochene niedrige Gräser, Löwenzähnchen, Huflattich und andere wundervolle, mir unbekannte Miniaturpflänzchen verschwanden fast unbemerkt wieder aus meiner Pflanzung. Der Wechsel vom Gebirgsstandort ins schwülwarme Rheintal bekam ihnen nicht, und ich war um eine Erfahrung reicher: Nur selten gelingt es, Gebirgspflanzen im Flachland anzusiedeln. Sie fühlen sich unter den gänzlich anderen Bedingungen nicht wohl. Man sollte sie dort stehen lassen, wo sie am besten gedeihen, und viele von ihnen sind auch geschützt. Sie dürfen ihrem Standort nicht entnommen werden.
Noch eine Erfahrung musste ich machen. Nicht jedem schönen Kräutchen darf man trauen. Mit seinem dicht verfilzten Wurzelwerk kann manches dieser Gewächse unserem Bonsai den Lebensraum streitig machen. Dann ist es als Unterpflanzung unbrauchbar. So entdeckte ich eines Tages beim Umtopfen, dass eine niedrige Labkrautart (Galium) mit ihren Wurzeln die ganze Schale ausgefüllt und dadurch das Nährstoffangebot für das Bäumchen geschmälert hatte.
Es zeigt sich wieder, dass das,
was sich in seiner natürlichen Umgebung versteckt,
drückt, kleinmacht über sich selbst hinausweisen kann
und uns Ausblicke eröffnet auf größere Verwandtschaft.
SIEGFRIED LENZ